Discussion:
Das 'echte' Märchen vom Aschenputtel
(zu alt für eine Antwort)
Stefan Krueger
2005-01-02 17:09:29 UTC
Permalink
Hallo zusammen,

als rückwirkendes Weihnachtsgeschenk:
eine kleine Fleißarbeit aus den Sylvestertagen.
Viel Saß beim Lesen.
:-)


*********************************
Aschenputtel
- von Roald Dahl / mäßig frei übersetzt von Stefan Krüger -

Ihr glaubt, ihr kennt das Märchen gut?
Ihr irrt! Im Echten spritzt mehr Blut.
Die Fälschung, die man uns berichtet,
hat man vor langer Zeit gedichtet
und kraft- und saftlos ausgedacht,
damit sie Kinder glücklich macht.
Der Anfang stimmt noch ungefähr,
doch darnach wirklich gar nichts mehr:
Die beiden bösen Schwestern waren
auf ein Bankett ins Schloß gefahren.
Das arme Aschenputtel ließ
man fies im fauligen Verlies,
wo kranke, abgezehrte Ratten
an ihrem Fuß zu knabbern hatten.

Sie brüllte: "Hilfe! Laßt mich frei!"
Die gute Fee vernahm den Schrei.
Sie kam mit einem Blitz herbei
und fragte, ob zu helfen sei.
Das Puttel schrie: "Da fragst du noch?
Ich pfeife aus dem letzten Loch!"
Sie schlug auf Fee und Mauer ein
und schrie: "Ich will beim Brautball sein!
Jetzt ist doch Disko im Palast!
Und ich häng fest in diesem Knast!
Ich will ein Kleid und einen Wagen
und Schmuck, den Königinnen tragen,
und Silber-Pumps, zwei Paar am besten,
und Nylonstrümpfe, nur die besten,
und die Gewähr, daß mich bestimmt,
der Prinz auch als Prinzessin nimmt.
Die gute Fee sprach: "Augenblick!"
und machte einen Zaubertrick,
und husch, eh du's gesehen hast
war Puttel reich und im Palast.

Die Schwestern waren echt schockiert,
denn Puttel tanzte ungeniert
und schmiegte sich sehr selbstbewußt
an die gewünschte Männerbrust.
Der Prinz kam ziemlich schnell in Fahrt:
Er schmolz dahin (ein Teil blieb hart).
Dann schlug es Zwölf, sie schrie: "O Schei.!
Ich muß jetzt weg, sonst ist's vorbei!"
Der Prinz rief: "Bleib! Du bist mein Glück!"
und hielt sie dreist am Kleid zurück.
Als Puttel schimpfte: "Laß mich gehen!"
zerriß ihr Kleid bis zu den Zehen.

Sie rannte raus nur in Dessous
und büßte stolpernd einen Schuh.
Der Prinz lief ihr vergeblich nach.
Er nahm den Schuh, und er versprach:
"Das Mädchen, dem der Pumps hier paßt
zieht als mein Weib in den Palast!"
Ich such in jedem Haus der Stadt
Bis man die Braut gefunden hat!"
Er warf den Schuh dann hinter sich.
Das war recht achtlos, fürchte ich,
denn jemand war darauf erpicht:
die Schwester mit dem Mopsgesicht.
Sie stahl den hübschen Pumps vom Fleck
und spülte ihn im Klo hinweg.
Dort wo der Schuh gelegen hatte
stand nun ihr eig'ner auf der Matte.
Ihr seht, jetzt wird es kompliziert,
und Aschenputtels Glück verliert.

Der Prinz ging stadtwärts tags darauf
und suchte alle Häuser auf.
Und ständig nahm die Spannung zu.
Wo war die Rechte für den Schuh?
Der Schuh war lang und äußerst breit
(für Standard-Füße viel zu weit),
er roch ein bißchen streng nach Schweiß
(Der Fuß der Trägerin war heiß).
Und viele tausend Frauen kamen,
Die ihn vergebens tragend nahmen.
Nun kam die böse Schwester rein
und zog ihn an. Der Prinz schrie: "Nein!"
Doch sie schrie: "Ja, Hurra, er paßt!
Mach dich auf mich als Frau gefaßt!"
Der Prinz erbleichte voller Graus
und murmelte: "Ich muß hier raus!"
Sie sagte stur: "Es ist versprochen.
Der Heirats-Eid wird nicht gebrochen!"
"Die Rübe ab!" schrie er zurück.
Und damit fiel das plumpe Stück.
Der Prinz war amüsiert und rief:
"Jetzt ist sie fast schon attraktiv!"
Nun kam die Schwester Nr. Zwei,
und rief: "Bringt mir den Schuh herbei!"
Der Prinz erwiderte "Nimm das!"
Die zweite Klinge wurde naß,
Der zweite Kopf war ab und sprang
und kullerte am Boden lang.
Das Puttel war im Nebenzimmer,
und hörte dumpf das Poltern immer,
wenn jemand seinen Kopf verlor.
Sie streckte ihren nun hervor
und rief: "Was soll der Krach im Haus?"
Der Prinz befahl: "Halt dich da raus!"
Das Aschenputtel war bestürzt,
"Mein Traumprinz", dachte sie, "der kürzt
hier Köpfe und hat Spaß daran.
So einen will ich nicht zum Mann!"

Der Prinz rief laut: "Wer ist die Schlampe?
Schlagt ihr die Rübe von der Wampe!"
Doch da, mit Glanz und Zauberschimmer
erschien die Gute Fee im Zimmer,
Ihr Zauberstab schwang hin und her.
Sie sprach: "Auf Puttel! Wünsch dir mehr!
Wünsch irgendwas. Hab keine Angst,
denn ich erfüll, was du verlangst."
Das Puttel rief: "Du bist so gut,
und ich bin diesmal auf der Hut.
Ich will den Prinz nicht und kein Geld.
Ich wünsche nichts auf dieser Welt
so sehr wie einen rechten Mann.
Wenn's sowas gibt, dann fang nur an!"
Nach einem Wimpernschlag genau
war Aschenputtel Ehefrau.
Ihr Mann war zwar nur Türvertreter
und laufend bloß ein halber Meter,
doch lebten sie, vor Liebe blind,
beglückt als Eheleute.
Und wenn sie nicht gestorben sind,
dann leben sie noch heute.

**********************************

www.stefankrueger.net
Stefan Krueger
2005-01-02 20:46:14 UTC
Permalink
ich kaufe ein p für die Anrede und
und die Nylonstrümpfe sollen die _f_esten sein
:)
Helen Rudewig
2005-01-03 20:45:40 UTC
Permalink
Post by Stefan Krueger
ich kaufe ein p für die Anrede und
und die Nylonstrümpfe sollen die _f_esten sein
:)
3.1.2005, 21.43 Uhr

Hallo Stefan,

*ROTFL*
trotz deiner "Sylvester-Uhrzeit" (geht vor...) und so kleiner
Holper-Stolperer - es ist herrlich!
Lange nicht mehr so herzlich gelacht :-)

Noch immer schmunzelnd
Helen
<von "Lyrik" in der Form auch begeistert>
Stefan Krueger
2005-01-03 21:33:09 UTC
Permalink
Hi Helen,

vielen Dank für das Lob, das meiste davon trifft ja Roald Dahl,
aber das hat er auch absolut verdient
:-)
Post by Helen Rudewig
trotz deiner "Sylvester-Uhrzeit" (geht vor...)
Ney, ich hatte es nur spät gepostet, weil ein Stückchen fehlte. Das meiste
entstand aber schon am 31.12. =|:-)
Post by Helen Rudewig
und so kleiner
Holper-Stolperer -
Ich weiß, es ist Aufwand, aber kannst du sagen, wo?
Wäre Klasse, weil man bei den eigenen Texten,
rhythmische Schwächen gerne gnädig überliest.
Post by Helen Rudewig
Noch immer schmunzelnd
Helen
<von "Lyrik" in der Form auch begeistert>
Vielen Dank nochmal :-)
und viele Grüße
Stefan
Helen Rudewig
2005-01-03 23:01:51 UTC
Permalink
vielen Dank für das Lob, das meiste davon trifft ja Roald Dahl...
;-) nicht abschwächen...
(kannte das Gedicht nicht)
Post by Helen Rudewig
trotz deiner "Sylvester-Uhrzeit" (geht vor...)
Ney, ich hatte es nur spät gepostet, weil ein Stückchen fehlte. Das
meiste entstand aber schon am 31.12. =|:-)
31.12., so, so ;-) erklärt alles!
Post by Helen Rudewig
und so kleiner
Holper-Stolperer -
Ich weiß, es ist Aufwand, aber kannst du sagen, wo?
Wäre Klasse, weil man bei den eigenen Texten,
rhythmische Schwächen gerne gnädig überliest.
Okay, ich trau mich mal:
(aber bitte, es ist _zart_ gemeint und nur "meine" Meinung)

Also -aus dem Text-
---------------------------
doch darnach wirklich gar nichts mehr:
richtig: danach

(lach: der Tanz Puttel mit Prinz...;-) und dann die künstlerische
Freiheit des Schei..., damit's im Klang bleibt - schön)

Sie rannte raus nur in Dessous
und büßte stolpernd einen Schuh.
(...evtl. sagst du: rechtschreiberisch falsch, aber reimerisch richtig:
"im Dessou"...?)

Nun kam die Schwester Nr. Zwei,
und rief: "Bringt mir den Schuh herbei!"
(ohne "und", dafür mit "bringet"?, also:
rief: "Bringet mir den Schuh herbei!")



Ich will den Prinz nicht und kein Geld.
Ich wünsche nichts auf dieser Welt

Evtl. so:
Will Prinzen nicht und auch kein Geld.
Ich wünsche nichts auf dieser Welt



doch lebten sie, vor Liebe blind,
beglückt als Eheleute.
Und wenn sie nicht gestorben sind,
dann leben sie noch heute.

Und wenn sie nicht gestorben sind,
dann leben sie vor Liebe blind,
als hochbeglückte Eheleute,
noch heute!

Herzlich Grüße
und:
Danke, dass du's mir nicht übel nimmst
Helen
Stefan Krueger
2005-01-04 14:28:29 UTC
Permalink
Hi Helen,
Post by Helen Rudewig
;-) nicht abschwächen...
(kannte das Gedicht nicht)
Naja, R.D. dürfte mit dem Lob auch nicht mehr viel anfangen können. Da nehm
ich mir ein bißchen mehr :-)
Post by Helen Rudewig
(aber bitte, es ist _zart_ gemeint und nur "meine" Meinung)
Ein _zartes Nur-"meine"-Meinung_ hat m.E. oft mehr Gewicht als eine
gebrüllte Wahrheitsbehauptung.
Post by Helen Rudewig
richtig: danach
Übernehme ich.
Post by Helen Rudewig
Sie rannte raus nur in Dessous
und büßte stolpernd einen Schuh.
"im Dessou"...?)
Hmm, darauf weiß ich leider auch keine Antwort. Der Duden kennt nur die
Version mit _s_ und will es auch ausgesprochen haben.
Aber der Duden ist für mich eher Ratgeber als Bibel, und ich habe mich auf
eine (allerdings auch nicht abgesicherte) französische Aussprache verlassen.
Mmmh?
Post by Helen Rudewig
Nun kam die Schwester Nr. Zwei,
und rief: "Bringt mir den Schuh herbei!"
rief: "Bringet mir den Schuh herbei!")
Hier bin ich nicht sicher, was du meinst. Willst du die Hebung lieber auf
dem Verb der wörtlichen Rede sehen oder einfach nur eine konservative
Imperativform?
Deine Alternative gefällt mir deshalb nicht so gut, weil damit der erste
Satz verstümmelt wird. Ich kann aber zumindest das Problem der Form umgehen,
indem ich den Befehl in den Sg. setze -> "Bring mir"
Post by Helen Rudewig
Ich will den Prinz nicht und kein Geld.
Ich wünsche nichts auf dieser Welt
Will Prinzen nicht und auch kein Geld.
Ich wünsche nichts auf dieser Welt
Ja, es ist kein schöner Fall bei mir. Aber deine Version ist subjektlos. :-)
Ich suche mal nach Alternativen.
Post by Helen Rudewig
Und wenn sie nicht gestorben sind,
dann leben sie vor Liebe blind,
als hochbeglückte Eheleute,
noch heute!
Hier hatte ich vorher schon lange überlegt, ob ich das Reimschema wirklich
durchbreche. Ich habe es der Märchen-Phrase zuliebe getan, und werde es wohl
auch beibehalten.
Post by Helen Rudewig
Danke, dass du's mir nicht übel nimmst
Machst du Witze?
Der Hauptgrund, weshalb ich hier poste, ist, daß ich immer wieder kritische
Rückmeldungen bekomme, seien sie formaler oder inhaltlicher Natur.
Und wenn sie dann noch so freundlich formuliert und so extrem hilfreich sind
wie dein Re:, bin ich überaus dankbar.

Vielen lieben Dank
und herzliche Grüße

Stefan
Eva Bekker
2005-01-04 14:48:02 UTC
Permalink
Am Tue, 4 Jan 2005 15:28:29 +0100 schrieb Stefan Krueger :

<großes schnippedeedoodah>
Post by Stefan Krueger
Post by Stefan Krueger
Sie rannte raus nur in Dessous
und büßte stolpernd einen Schuh.
"im Dessou"...?)
Hmm, darauf weiß ich leider auch keine Antwort. Der Duden kennt nur die
Version mit _s_ und will es auch ausgesprochen haben.
Aber der Duden ist für mich eher Ratgeber als Bibel, und ich habe mich auf
eine (allerdings auch nicht abgesicherte) französische Aussprache verlassen.
Mmmh?
Ich habe beim Lesen aus dem "in" ein "im" gemacht und das "s"
unausgesprochen gelassen. Keine Auhnung, ob es Dessous auch im
Singular gibt, aber irgendwie passte es so nett.


Eva
--
Die Geschichte von Stagonat Sturmreiter im Hexameter:
http://www.pigasus-publishing.de/stagonat/ (deutsch)
http://www.pigasus-publishing.de/stagonat/eng_stagonat1.htm (englisch)
Stefan Krueger
2005-01-04 15:19:31 UTC
Permalink
Ich bin ja doch ein Depp,

habe gerade nochmal im Duden nachgeguckt und da steht:
Des|sous [de'su:], das; - [de'su:(s)].

Ist also im Sg. reimtechnisch korrekt. :-)
-> im Dessous

Vielen Dank
Stefan

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